Das Wort zum Donnerstag

Das Wort zum Donnerstag

07.11.2024

Das Taschentuch

In unserem Kulturkreis werden Taschentücher vor allem zur Säuberung der Nase von Nasensekret verwendet. Während die einen auf das Taschentuch aus Stoff und sorgfältig gebügelt schwören, benutzen andere Taschentücher aus Papier. In Papua-Neuguinea, wo wir als Familie einige Jahre lebten, erntete ich Kopfschütteln, wenn ich nach dem Gebrauch, das Taschentuch samt Inhalt fein säuberlich faltete und in die Hosentasche steckte. Die Einheimischen hatten andere Gewohnheiten. Nun ja, andere Länder, andere Sitten.

Das Taschentuch kann auch als Erinnerung dienen, wenn es einen Knoten hat. Der berühmte Knoten im Taschentuch hat allerdings zwei entscheidende Nachteile: Man hat ihn in der Regel nicht in der Hand, wenn man ihn braucht, oder schlimmer: man hat vergessen, woran man sich erinnern soll, weil es keine Verbindung zwischen der Erinnerung und dem Knoten mehr gibt.

Auf einer Tagung mit 70 Teilnehmern hielt ein Referent einen Vortrag, während einer der Teilnehmer, mein übernächster Sitznachbar, aufgrund seiner Erkältung, nennen wir die Dinge beim Namen, sein Nasensekret lautstark hochzog. Fortwährend. Ich konnte mich auf den Vortrag nicht mehr konzentrieren und beschäftigte mich gedanklich intensiv damit, wie diesem übernächsten Sitznachbarn geholfen und dem Geräusch Abhilfe geschaffen werden könnte. Hatte er kein Taschentuch – egal, ob Stoff oder Papier? Auch eine Rolle Klopapier hätte ihren Dienst getan. Zur Not der Ärmel oder meinetwegen die Tischdecke. Oder störte nur mich die Geräuschkulisse? Wäre es unfreundlich, fragte ich mich, dem übernächsten Sitznachbarn ein Taschentuch anzubieten?

Irgendwann nahm ich mir ein Herz und reichte dem vom Schnupfen geplagten Teilnehmer der Tagung mein Taschentuch. Ein Stofftaschentuch – selbst gebügelt. Unbenutzt. Er nahm es dankbar an und verschaffte uns allen, durch den Gebrauch desselben, eine erstaunliche Ruhe.

In der Pause fragte mich der dankbare Sitznachbar, was er mit dem Taschentuch anfangen solle. Ich antwortete: Behalten. Und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: Und immer dann, wenn du es benutzt, kannst du ein Gebet für mich sprechen.

Begegnen wir uns seitdem auf Tagungen, dann schmunzeln wir und wissen – auch ohne Knoten – dass er für mich betet. Gelegentlich. Und ich für ihn. Auch gelegentlich. Vielleicht willst du, wenn du künftig dein Taschentuch zur Hand nimmst, auch für einen Menschen beten oder gute Worte über ihm aussprechen – selbst dann, wenn du von der Person die Nase gestrichen voll hast. Oder gerade dann?

Bleiben Sie gesund und behütet.

Pastor Burkhard Heupel
Emmaus-Gemeinde

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