Das Wort zum Donnerstag

Das Wort zum Donnerstag

17.10.2024

Carving

Seit Jahren bin ich mit Begeisterung mit meinen beiden Kettensägen im Wald unterwegs: Buchenkronen aufarbeiten, Bäume fällen, entasten und klein sägen. Wird dies in gemütlicher Runde zum Thema, dann gibt es leuchtende Augen, einen erhöhten Puls und das Schwärmen findet kein Ende. Da meine Faszination für Holz und Säge bekannt ist, gab es zum Geburtstag einen Gutschein: Erlebnistag Schnitzen – mit der Kettensäge. Auch Carving genannt. Next Level! Nicht nur um- und absägen, sondern gestalten, formen - künstlerisch tätig sein. Nach einer kurzen Einführung ging es los: Stamm aussuchen, Motiv überlegen, Skulptur skizzieren und dann Stück für Stück das Kunstwerk freilegen, das sich im Stamm verbirgt...

Dazu fällt mir eine Geschichte ein: Ein Künstler arbeitet an einem Steinblock. Dabei schaut ihm ein Kind über die Schulter. Nach einer Weile fragt das Kind: Was wird aus dem Block? Der Künstler antwortet: Ein Löwe! Genug gesehen, verlässt das Kind den Ort des Geschehens, kommt einige Tage später zurück, sieht den fertigen Löwen und fragt: Woher wusstest du, dass das ein Löwe wird? Der Künstler antwortet: Ich sah ihn in meinem Herzen!

Johann Wolfgang von Goethe empfiehlt: Behandle die Menschen so, als wären sie, was sie sein sollten, und du hilfst ihnen zu werden, was sie sein können. Das geschieht gewöhnlich im Elternhaus, im Kindergarten, in der Schule und hoffentlich auch noch danach: in Beziehungen und Begegnungen. Nicht von oben herab, sondern: im Herzen den Menschen schon so sehen, wie er sein kann. Ohne die Macken und Kanten, unter denen das Gegenüber oft selbst leidet. Einander mit Würde und Wertschätzung begegnen.

Liebe legt einen Menschen nicht fest, Liebe lässt Raum zur Veränderung. Der lebendige Gott sieht, was Menschen bedrückt, worunter sie leiden. Er sucht die Begegnung, auch mit den Reichen und Schönen, am liebsten aber mit denen, die ein zerbrochenes Herz haben. Und er hat längst entdeckt, was werden kann. Er hat begründete Hoffnung, dass aus einem groben Klotz etwas Brauchbares und Ansehnliches entstehen kann. Er ist der Künstler, der nicht nur die Oberfläche etwas polieren will, sondern in seinem Herzen sieht, was peu à peu reifen darf – wenn wir ihn machen lassen.

Das Kunstwerk freilegen, das in dir steckt, das kann nur einer: der Künstler selbst. Lass ihn machen!

Bleiben Sie gesund und behütet.

Pastor Burkhard Heupel
Emmaus-Gemeinde

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