Wir fahren Anfang April nach Tübingen und besuchen unsere Tochter, die dort ihre neue Wohnung bezogen hat. Mit im Gepäck sind einige Haushaltsgegenstände und Küchenstühle aus den 70er Jahren: Sie sollen die Einrichtung vervollständigen. In Tübingen ist der Frühling schon auf dem Vormarsch: Forsythien und Kirschbäume blühen, Vögel zwitschern. Unser Spaziergang führt vorbei an alten Fachwerkhäusern, Rathaus, Stiftskirche und Schloss. Wir genießen die erste Kugel Eis in diesem Jahr. Wunderbar erfrischend - so ein Frühlingszauber!
Das Ziel unserer kleinen Tour ist der Hölderlinturm am Neckar. Die Ausstellung sei sehenswert, heißt es, und sie ist es auch: Es gibt eine interessante Einführung in die Dichtkunst. Beim anschließenden Ostereiersuchen für Erwachsene enthält mein gefundenes faustgroßes durchsichtiges Plastik-Osterei ein Gedicht von Ludwig Uhland (1787-1862), der in Tübingen lebte:
Künftiger Frühling
Wohl blühet jedem Jahre
Sein Frühling, mild und licht,
Auch jener große, klare –
Getrost! er fehlt dir nicht;
Er ist dir noch beschieden
Am Ziele deiner Bahn,
Du ahnest ihn hienieden,
Und droben bricht er an.
Die deutschen Dichter waren in der biblischen Botschaft genauso zu Hause wie in der Metrik, also dem Takt und Versmaß,
der Alliteration oder der Betonung von Vokalen und Silben.
Das Gedicht nimmt meine Frühlingsgefühle auf und spricht ab der dritten Zeile von einem kommenden zweiten Frühling.
Nicht der, von dem die Rede ist, wenn Menschen sich im Alter noch einmal verlieben.
Nein, Uhland weist auf einen künftigen Frühling
hin und mahnt, sich hier nicht allzu sehr häuslich einzurichten.
Der Frühling im Jahreskreislauf tut Seele und Gemüt gut – und hilft, ein geistliches Geheimnis zu verstehen.
Mir wird klar: Der Winter
dieser Welt, mit seinen Kriegen, Konflikten und Krankheiten hat nicht das letzte Wort.
Die warmen Sonnenstrahlen verwandeln über Nacht die braunen Vorgärten in blühende Gärten mit summenden Bienen und brummenden Hummeln.
Uhland nennt dies, eine Ahnung von der Ewigkeit zu bekommen.
Der hiesige Frühling, ein Vorgeschmack auf das, was Menschen einmal erwartet, die an Gottes Hand unterwegs sind.
Bleiben Sie gesund und behütet.
Pastor Burkhard Heupel
Emmaus-Gemeinde