Mit Kindern und Enkelkindern verbringen wir das Wochenende. Eins der Enkelkinder hat eine Bindehautentzündung. Das Geschrei ist groß. Das Auge ist verklebt, es lässt sich nicht öffnen. Auch nicht mit viel Kraftaufwand. Da helfen nur ein weicher Waschlappen und warmes Wasser, damit das Kind die Welt wieder sehen kann.
Wir spielen noch Ich-sehe-was,-was-du-nicht-siehst
zusammen und mir wird bewusst, wie großartig es ist, wenn man sehen kann!
Oder wenn man plötzlich die Augen geöffnet bekommt und Dinge sieht, die man zuvor übersehen hat.
Wer die Augen nicht öffnen kann, ist orientierungslos.
Manchmal sind Menschen orientierungslos, obwohl sie die Augen offen haben – weil sie nur einen Bruchteil sehen von dem, was da ist.
Ich frage mich: Leben wir in einer orientierungslosen Zeit – trotz offener Augen? Mit unserer Technik, den Errungenschaften aus den Naturwissenschaften, aber auch mit unserem Stolz, alles selbst zu können und zu meistern, entsteht bei mir mehr und mehr der Eindruck, die Menschheit fährt gegen eine Wand – mit offenen Augen. Manche halten sich schon die Hände vor das Gesicht. Besser ist es, die Hände zu falten und das, was zu sehen ist, im Gebet Gott zu benennen.
Morgen feiern wir den Feiertag Christi Himmelfahrt. Die Freunde von Jesus bekamen damals weiche Knie und rieben sich verwundert die Augen, als Christus in den Wolken verschwand. Jesus wurde in den Himmel emporgehoben, das heißt, er kehrte heim zu seinem himmlischen Vater, von dem er in die Welt gesandt worden war.
Auch wenn es nicht immer auf den ersten Blick sichtbar ist: An Himmelfahrt feiern wir, dass Jesus Christus diese Welt hält und erhält. Der eine sieht es, eine andere nicht. Die Frauen und Männer der jungen Kirche öffneten mehr und mehr ihre Augen bzw. Gott öffnete ihnen ihre Augen, um in kleinen Ereignissen und manchmal auch Wundern zu sehen, was das Evangelium bewirken kann. Diese Frauen und Männer entdeckten mehr und mehr ihre Ressourcen und Fähigkeiten, um die frohe Botschaft hinauszutragen in die ganze Welt.
Es ist mein Wunsch und mein Gebet, dass wir mit offenen Augen Gottes Wirken in dieser Welt sehen. Manchmal müssen einem die Augen dafür (neu) geöffnet werden. Mit erleuchteten Augen des Herzens kann man ander(e)s sehen als mit den Augen, die wir für die Bewältigung des Lebens brauchen.
Verschließen Sie nicht die Augen: es gibt Hoffnung. Für diese Welt und für jeden Menschen. Gut, wenn wir einander helfen, Sehende zu werden. Vielleicht mit einem weichen Waschlappen, sprich: mit warmen, ermutigenden Worten.
Bleiben Sie gesund und behütet.
Pastor Burkhard Heupel
Emmaus-Gemeinde