Das Wort zum Donnerstag

Das Wort zum Donnerstag

05.01.2023

Schenke dir ZEIT

Wie in vielen Wohnungen, landauf landab, sind auch bei uns das Bad und das stille Örtchen in einem Raum. So komme ich öfters in die Lage, das Ambiente eingehend zu betrachten. Neulich stand mitten unter den altbekannten Lotionen, Cremes und Wässerchen eine neue Tube mit Duschgel. Aufregend, solche grundlegenden Änderungen! Beim nächsten Besuch stand die Tube so, dass ich auch die Aufschrift lesen konnte. Neben der Bestätigung, dass es sich um Duschgel handelt, war noch in geschwungenen Lettern ein Satz zu lesen, der wohl dazu gedacht war, im Drogeriemarkt den Griff nach dieser Tube zu beflügeln: Schenke dir ZEIT.

Der dritte Besuch wurde zwangsläufig nachdenklich. W e m soll ich was schenken? Wie soll das gehen, dass der Schenkende und der Beschenkte dieselbe Person ist? Und habe ich am Ende etwa mehr Zeit, wenn ich sie mir selbst schenke? Die landläufige Redewendung Das kannst du dir schenken! deutet eher darauf hin, dass es ein Bemühen ist, das sich nicht lohnt. Ich verlasse das Örtchen mit dem Bauchgefühl: Irgendwas stimmt nicht so ganz mit diesem Satz!

Vierte Sitzung. Erstmals regt sich Widerspruch in mir: Wenn ich jemandem etwas schenke, möchte ich ihm in die Augen schauen können! Und wenn mir jemand etwas schenkt, möchte ich ihm meine Freude zeigen können! Mir wird klar: Sowohl für das Schenken als auch für das Beschenkt-werden, brauche ich definitiv noch jemanden anderes außer mir!

Ich kann nicht mehr bis zur nächsten Sitzung warten. Zu sehr treibt mich auf einmal die Frage um, wer denn dafür zuständig ist, dass ich überhaupt Zeit habe. Ein Blick in die Bibel ernüchtert mich: Ich bin es nicht! Jesus lässt mir da ausrichten, dass ich nicht mal in der Lage bin, meiner Lebenszeit auch nur eine Spanne (so übersetzt es Martin Luther) hinzuzufügen. Eine Spanne ist die kleine Strecke zwischen Daumen- und Kleinfingerspitze der ausgespannten Hand. Nicht mal das! Ganz allmählich ahne ich, dass da ein anderer seine große Hand ausspannt und mir jeden Morgen neu eine Spanne Zeit schenkt.

Wir stehen noch am Anfang eines neuen Jahres. Gott gibt uns nicht ein ganzes Jahr auf einen Schlag. Er schenkt am Jahresanfang eine erste Spanne Zeit. Dann schenkt er mir eine Spanne Schlaf. Manchmal weckt er mich auch aus einem Alptraum und sichert mir umgehend seine Nähe zu. Er schenkt mir eine Spanne Zeit, in der ich morgens warm und mit Duschgel duschen darf. Er schenkt mir Zeit für ein Gespräch mit einem Nachbarn, dem ich dabei in die Augen schauen kann.

2023. Und ich beginne, sehr dankbar, die ersten Schritte in dieses neue Jahr und die geschenkte (Lebens-) Zeit zu setzen.

Bleiben Sie gesund und behütet.
Pastor i.R. Michael Rosenhagen

Emmaus-Gemeinde

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